Durchbruch in der Trainingsforschung: Vororientierung lässt sich gezielt verbessern
Training von Scanning und Vororientierung im Fußball
Universität Potsdam bestätigt Wirksamkeit des RESWITCH-Konzepts - Scanning-Frequenz steigt um 19 Prozent
Im modernen Fußball entscheiden Sekundenbruchteile über Erfolg oder Misserfolg. Während früher Spieler noch 2,9 Sekunden Zeit hatten von der Ballannahme bis zur Abgabe, sind es heute nur noch 1,1 Sekunden. Diese Entwicklung macht eine Fähigkeit immer wichtiger: das Scanning – die Kunst der Vororientierung.
Doch lässt sich diese entscheidende Kompetenz systematisch trainieren? Eine aktuelle Masterarbeit der Universität Potsdam liefert nun den wissenschaftlichen Beweis: Ja, es funktioniert – und das RESWITCH-Konzept ist dabei besonders wirkungsvoll.
Die Studie, die alles verändert
Sportwissenschaftler Gregor Engel führte über acht Wochen eine Längsschnittstudie mit zwei Amateurmannschaften durch. Das Studiendesign war dabei so konzipiert, dass belastbare Ergebnisse erzielt werden konnten:
Interventionsgruppe: Elf Spieler einer Männermannschaft (Durchschnittsalter 27,6 Jahre) absolvierten 13 Trainingseinheiten à 20 Minuten mit RESWITCH-Übungen.
Kontrollgruppe: Neun Spieler einer A-Jugendmannschaft (Durchschnittsalter 18,1 Jahre) trainierten ohne das spezielle Equipment weiter.
Die Messung erfolgte durch einen standardisierten Test mit BLAZEPOD®-Reaktionslichtern – eine objektive Methode zur Erfassung des Scanning-Verhaltens abseits subjektiver Einschätzungen.
Ergebnisse, die überzeugen
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Während die Interventionsgruppe ihre Scanning-Frequenz von 1,04 auf 1,24 Scans pro Sekunde steigerte (Seite 36 der Masterarbeit), verschlechterte sich die Kontrollgruppe leicht von 0,92 auf 0,88 Scans pro Sekunde.
Das entspricht einer Verbesserung von 19 Prozent bei der RESWITCH-Gruppe – ein statistisch signifikanter Unterschied (p-Wert = 0,028).
Noch beeindruckender: Die Interventionsgruppe verbesserte gleichzeitig ihre Punkteausbeute von durchschnittlich 0,7 auf 2,2 Punkte pro Spiel und sicherte sich den Klassenerhalt.
Was macht RESWITCH so effektiv?
Die wissenschaftliche Analyse zeigt, dass mehrere Faktoren für den Erfolg des Konzepts verantwortlich sind:
Raum- und Zeitdruck als Trainingsreiz: Wie bereits McGuckian et al. (2017) in ihrer Forschung zu Spielfeldgrößen nachwiesen, scannen Spieler häufiger, je enger der verfügbare Raum wird. RESWITCH nutzt dieses Prinzip systematisch.
Wechselnde Teamkonstellationen: Durch die verschiedenen Kategorien (Farben, Zahlen, Symbole, Buchstaben) müssen Spieler permanent ihre Umgebung erfassen. Die Forschung von Pulling et al. (2018) bestätigt, dass solche spielerischen Ansätze wirkungsvoller sind als direkte Traineranweisungen.
Realitätsnahe Übungsformen: Das Prinzip des Transfers spielt eine entscheidende Rolle. Holt et al. (2006) belegten: Je näher das Training am echten Spiel ist, desto besser übertragen sich die Fähigkeiten.
Minimale verbale Führung: Anders als herkömmliche Ansätze setzt RESWITCH auf eigenständiges Erkennen und Entscheiden. Dies fördert die autonome Entwicklung der Vororientierung.
Einordnung in den Forschungskontext
Die Potsdamer Studie reiht sich in eine wachsende Zahl wissenschaftlicher Arbeiten ein, die die Trainierbarkeit des Scannings bestätigen. Bereits 2015 wies Gibson nach, dass visuell-exploratives Verhalten erlernbar ist.
Pocock et al. (2017) konnten mit Video- und Vorstellungstraining ähnliche Verbesserungen erzielen, allerdings mit deutlich höherem technischen Aufwand. Die systematische Übersicht von Jia et al. (2024) über 18 Studien zu Simulationstechnologien im Fußball unterstreicht: Kognitive Fähigkeiten lassen sich wirksam trainieren – auch ohne teure VR-Systeme.
Warum gerade für Amateurvereine interessant?
Die Erkenntnisse von Engel sind besonders für den Amateurfußball relevant. Während Profiklubs auf teure Technologien wie den Footbonaut oder VR-Training zurückgreifen können, bietet RESWITCH eine kostengünstige Alternative mit nachgewiesener Wirksamkeit.
Die Vorteile im Überblick:
- Nur 20 Minuten zusätzliches Training pro Einheit nötig
- Signifikante Verbesserungen bereits nach acht Wochen messbar
- Einsetzbar von der U9 bis zu den Senioren
- Kein technisches Know-how erforderlich
- Geringer Materialaufwand
Wissenschaftliche Fundierung und Ausblick
Dr. René Kittel von der Universität Potsdam, der die Masterarbeit betreute, betont die Bedeutung der Studie als "Pilotprojekt für weitere Forschungen". Zwar ist die Stichprobengröße mit 20 Teilnehmern begrenzt, doch die Ergebnisse sind eindeutig genug, um das wissenschaftliche Fundament des RESWITCH-Konzepts zu stärken.
Engel selbst sieht in seiner Arbeit den Grundstein für umfangreichere Untersuchungen. Besonders interessant wären Langzeitstudien und Feldstudien unter realen Spielbedingungen mit Eye-Tracking-Technologie.
Praktische Umsetzung
Für Trainer bedeuten diese Erkenntnisse eine klare Handlungsempfehlung. Die Forschung zeigt: Vororientierung ist trainierbar und sollte systematisch in die Trainingsplanung integriert werden.
RESWITCH bietet dabei einen wissenschaftlich fundierten Ansatz, der ohne großen Aufwand umsetzbar ist. Die Investition in die Trainingsausrüstung amortisiert sich bereits durch die nachgewiesenen Leistungssteigerungen.
Was Trainer beachten sollten:
- Regelmäßiges Training ist entscheidend (die Studie zeigt eine schwache Korrelation zwischen Trainingshäufigkeit und Verbesserung)
- Spielerische Ansätze sind direkten Anweisungen überlegen
- Die Gewöhnung an permanentes Scanning braucht Zeit und Wiederholung
- Der Transfereffekt ins echte Spiel ist bei realitätsnahen Übungen am höchsten
Fazit
Die Masterarbeit von Gregor Engel markiert einen wichtigen Meilenstein in der Trainingsforschung. Sie beweist nicht nur die Wirksamkeit des RESWITCH-Konzepts, sondern auch die grundsätzliche Trainierbarkeit einer Schlüsselkompetenz des modernen Fußballs.
Für Amateurvereine eröffnet sich damit die Möglichkeit, mit vergleichsweise geringem Aufwand die kognitiven Fähigkeiten ihrer Spieler zu verbessern – ein entscheidender Vorteil in einer Zeit, in der das Spiel immer schneller wird.
Die Wissenschaft hat gesprochen: Scanning lässt sich trainieren. Jetzt liegt es an den Trainern, diese Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen.
Die vollständige Masterarbeit "Training der Gewohnheit der Vororientierung beim Fußball - Effektivität mithilfe des RESWITCH-Konzepts: Eine Untersuchung im Mannschaftstraining" wurde von Gregor Engel im August 2024 an der Universität Potsdam eingereicht. Betreut wurde die Arbeit von Dr. René Kittel und Dr. Janet Kühl.
Hier gibt es Videos, zu Scanning-Aktionen in realen Fußball-Matches: