Thema: „Identifizierung von handlungsschnellen Spielern“

Ein Gastbeitrag von Gerhard Waldhart, Videoanalyst, SKN St. Pölten


Der professionelle Fußball zeichnet sich durch ein sehr hohes Spieltempo aus. Die gesamten Anforderungen an den heutigen Fußballer 2.0, in Bewegung mit und ohne Ball, schnellstmöglich und kontrolliert, sind in ihren Einzelteilen erheblich gestiegen.

Insbesondere das Angriffsspiel stellt ein schnelles Handeln eine Grundvoraussetzung dar, sich gegen zunehmend aktiveres Pressing und Unterzahlspiel erfolgreich durchzusetzen. Die Entwicklung lässt sich auch anhand der Spitzenmannschaften und dem internationalen Fußball eindeutig belegen. 

Unter den konditionellen Leistungsvoraussetzungen kommt der Fähigkeit schnell zu sein und schnell zu handeln kontinuierlich steigende Bedeutung zu. Raymund Verheijen (2000) der Schnelligkeitsstatistiken von niederländischen Profis erstellte, erlangte die Gewissheit, dass das Spieltempo umso schneller wird, je höher die Spielklasse im Fußball ist. Dies erfordert eine sehr hohe Handlungsschnelligkeit jedes einzelnen Kickers. Dabei geht es nicht primär um das Tempo der Spielhandlung, sondern das frühzeitige Erkennen des geeigneten Moments dafür. 

Im Fussball wird unter der Handlungsschnelligkeit

die Fähigkeit (verstanden), aufgrund von visuellen, gedanklichen, technisch-taktischen-taktischen und konditionellen Möglichkeiten situationsspezifisch schnellstmöglich und genau zu handeln“ (Bisanz & Gerisch, 2008, S.186)

Die Qualität der Handlungsschnelligkeit wird neben energetisch – neuromuskulären Voraussetzungen (Schnelligkeit) von der bestmöglichen technisch-taktischen Umsetzung (Genauigkeit) bestimmt. Dabei spielen unter anderem motivationale (Erfolgszuversicht, Siegeswille) und emotionale Aspekte (Unsicherheit, Angst) eine wichtige Rolle (Weineck, 2004)

Kurz um …..Kurze Zeitfenster sorgen für schnelle Tore

Am Beispiel des Umschaltverhaltens im Profibereich beweisen Untersuchungen die Wichtigkeit des schnellen Umschaltens von Defensive auf Offensive und umgekehrt. Betrachtet man das Spiel in der Offensive, dann ergeben sich sehr gute Möglichkeiten unmittelbar nach Ballgewinn, die kurzfristige Unordnung der gegnerischen Teams durch eine schnelle und zielorientierte Angriffssituation zu nutzen.

Im Defensivspiel hingegen gilt es, das Zeitfenster der eigenen Unordnung nach Ballverlust möglichst kurz zu halten. Unabhängig davon, ob ein unmittelbares Gegenpressing möglich ist oder sich das eigene Team zunächst fallen lässt um aus der Grundordnung zu agieren, ist ein extrem schnelles Umdenken stets eine zwingende Voraussetzung. Diese Elemente lassen sich schon im Juniorenalter vor allem bezüglich Handlungsschnelligkeit – schon frühzeitig trainieren.

Voraussetzung für eine Entscheidungsfindung

Damit ein Spieler überhaupt handeln kann, muss er einen Handlungsbedarf erkennen. Somit ist die Wahrnehmungsschnelligkeit ein grundlegender Faktor für weitere Anschlusshandlungen. Als unterstütze Fähigkeit ist das Erahnen einer Spielsituation. Wir sagen in der Sprache der Trainer, dass ein Spieler „die Situation lesen“ muss.  

Die Antizipationsschnelligkeit ist dafür verantwortlich eine bessere und schnellere Einschätzung der Situation abzugeben – und hängt maßgeblich von der Erfahrung des Spielers ab. Das heißt der Spieler muss exakt oder in einer ähnlichen Situation gewesen sein, um richtig reagieren/agieren zu können.

Wenn diese spezielle Spielsituation, im Fachjargon „antizipativ“, wahrgenommen wurde, muss im nächsten Schritt schnellstmöglich eine Entscheidung getroffen werden. Die Entscheidungsschnelligkeit ist ganz klar davon abhängig, wie viele Handlungsalternativen ein Spieler kennt und beherrscht.

Neben der kognitiven Fähigkeit steht die Handlungsschnelligkeit im engen Kontakt mit der physischen Voraussetzung sprich hängt diese auch Beschleunigungs- und Schnelligkeitsfähigkeit ab.

Superstars von morgen?

Der Fußballmarkt wird aktuell regelrecht mit Unmengen von Geld überschwemmt, Ablösesummen explodieren. Spieler die gestern nach unbekannt waren, sind plötzlich Millionen wert. Das ruft natürlich viele Vereine auf den Plan sich um junge unbekannte Spieler umzusehen.

Es besteht ein wesentlicher Unterschied im Scoutingbereich des Erwachsenenfussballs, wo man auf bestimmte Positionen mit den dazugehörigen Qualitäten sucht mit dem Scouting von Jugendspielern. Im Scouting von Jugendspielern werden die Perspektiven, nicht an Positionen festgemacht, sondern es wird nach besonderen Fähigkeiten gesucht, die ein junger Spieler haben sollte, wie eben die Handlungsschnelligkeit.

Die erläuterten Komponenten der Handlungsschnelligkeit können im Kindes- und Jugendalter regelmäßig trainiert werden. Das Grundlagentraining (Kindergarten bis E-Jugend) sollte genutzt werden, um den unermüdlichen Bewegungsdrang für Spielformen zu nutzen. Aber auch Reaktionsschulungen durch Anwendung geeigneter Trainingsformen, mit einfachen Reaktionen und neu zu treffenden Entscheidungen, sind von hoher Bedeutung.

Diese koordinativen Fähigkeiten sind zudem ein zwingender Trainingsbestandteil im „goldenen Lernalter“ mit hinführenden Elementen zur Handlungsschnelligkeit.

Wie oben näher beschrieben soll der Spieler unter anderem Handlungsschnelligkeit in allen beschriebenen Facetten aufweisen, oder zumindest erahnen lassen. Es gibt aber Vereine die systemorientiert und positionsspezifisch ausbilden, und wo der junge Nachwuchskicker mit seinen persönlichen Fähigkeiten oftmals zu kurz kommt.

Das wird dann sichtbar bei Transfers, wo sich Spieler bei einem neuen Verein schwertun.

Das Spiel mit den nackten Zahlen und Szenen

„Fußball ist keine Mathematik“ behauptete einst der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München, Karl-Heinz Rummenigge im Jahr 2007. Das gute alte Scouting, wo sich früher Experten auf den Rängen mit Stift und Papier tummelten, scheint an seine Grenzen gestoßen zu sein. Analysetools werden im Scouting immer wichtiger, da die Entwicklung dieser Tools weit fortgeschritten ist, wodurch man sich auf Knopfdruck ein gutes Bild von Spielern machen kann.

Hochauflösende Kameras nehmen in den Stadien und Trainingszentren eine Vielzahl an Einzelszenen auf und runden den Eindruck, den man vor Ort bekommen hat, ab.

Livebeobachtung die Basis im Scouting?

Das meiste sieht der Scout in der Livebeobachtung und zwar nicht nur im Spiel, sondern vor allem auch und in den Trainingseinheiten. Im Vorfeld schaut man aber natürlich auf Videos des Spielers um einen ersten Eindruck zu erhalten. Da geht es unter anderem auch um Aspekte der Handlungsschnelligkeit, passend zum heutigen Thema. Genauer gesagt:

Kann der jeweilige Spieler, je nach Position verschieben, schnell auf die jeweilige Situation handlungsschnell (siehe Abbildung 1) reagieren/agieren bzw. die Situation zu lesen. Ich selbst beobachte den Spieler z.B. eine Woche vor Ort, das heißt ein bis zwei Spiele und mehrere Trainings, dann erfolgt ein Bericht mit Videosequenzen des jeweiligen Spielers mit meiner Ersteinschätzung. Wenn der Verein weiterhin Interesse bekundet erfolgt detaillierter Bericht über den jeweiligen Spieler inklusive Daten und Fakten.

Talent allein wird kein Profi!!

Das Talent gepaart mit einer ausgeprägten Handlungsschnelligkeit ist keine Garantie für eine Karriere im Profifussball. Für mich liegt das allergrößte Potential in der Einstellung zum Profisein und unabdingbare Wille mehr zu tun als andere. Die Summe aller Themen, auch die, die hier nicht thematisiert wurden, wie z.B. auch taktisches Verständnis, zeigen dann, ob es die vermeintlichen „Superstars von morgen“ überhaupt in den Profifussball schaffen.

Über den Autor
Der Autor Gerhard Waldhart ist Co-Trainer Spielanalyse SKN St. Pölten und besitzt einen großen Erfahrungsschatz im Fußball. Der A-Lizenz Inhaber hat bereits interessante Stationen hinter sich wie z.B. Trainertätigkeiten in den Landesauswahlen im Tiroler Verband oder im DFB-Stützpunkt. Das er über Grenzen hinaus denkt zeigen auch seine Zusatzausbildungen als Dipl. Sportmentaltrainer, die Ausbildung zum Spielanalysten beim Internationalen Fußballinstitut und ein aktuell laufender MBA-Sportmanagement an der University of Middlesex in London. Bei der SKN St. Pölten ist Gerhard Waldhart u.a. für die Videoanalyse zur Spielerentwicklung verantwortlich sowie für die Gegnervorbereitung und den Liveanalysen.

Literaturverzeichnis:

In Anlehnung an die Bachelorarbeit:  Schnelligkeitstraining im Fußball: Untersuchungen zur motorischen und  kognitiven Komponente der Handlungsschnelligkeit im Training der individuellen und kollektiven Angrifstaktik (Christian Mosebach, Diplomica Verlag, Hamburg, 2010)

In Anlehnung an die Zeitschrift: Fussballtraining „Die Basis des Umkehrspiels“ (erschienen im Phillipka Sportverlag 05/2012, Domenico Tedesco, Münster)

Definition: Handlungschnelligkeit im Fußball (Bisanz & Gerisch, 2008, S.186) Raymond Verheijen (2000)


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RESWITCH hat eine neue Trainingsmethodik für das Training der Handlungsschnelligkeit.

Wie diese funktioniert erfährst du hier: https://www.reswitch.de/was-soll-das-ganze

Autor: Tammo Neubauer