Gastbeitrag: Die Entwicklung der Spielintelligenz im Kinderfußball – Ein Beiläufer oder essenziell wichtig ?

Spielintelligenz

von Tobias Bluhm – kinderfussball.org

Im deutschen Nachwuchsfußball wird aktuell viel diskutiert, wie wir unsere jüngsten Kicker noch besser ausbilden können, um zukünftig wieder mehr Spieler auf Topniveau hervorzubringen.

Neben der Einführung der Fairplayliga, wo den Kindern zunächst einmal der Ergebnisdruck genommen werden soll, um so wieder frei und kreativ spielen zu können, wird nun über eine weitere Änderung der Wettkampfform gesprochen. Diese neue Form des Wettkampfes nennt sich Funino. Ein Spiel, wo die Kinder im 3 gegen 3 ihr Können unter Beweis stellen. Kleine Spielfelder, kleine Teams, viele Ballkontakte, viele Tore und somit auch mehr Erfolgserlebnisse für jedes einzelne Kind, sind nur einige von vielen Vorteilen, dieser von Horst Wein in den 1980er Jahren entwickelten Spielform.

Ziel von Funino ist es die Spielintelligenz der Kinder, also die Wahrnehmung, Antizipation, Kreativität sowie die Analyse von Spielsituationen zu verbessern. Ein viel zu häufig vernachlässigter Ausbildungsschwerpunkt.

Wenn man viele Nachwuchstrainer fragt, was sie denn ihren Spielern beibringen wollen, dann heißt es nur:

“Sie sollen gut dribbeln, schießen und passen können. Besonders das Passspiel ist mir wichtig. Also den Kopf hochnehmen, den Mitspieler sehen und anspielen.”

Grundsätzlich sind diese Ausbildungsschwerpunkte nicht verkehrt, doch die Frage ist, wie man diese lehrt.

Denn viele Trainer denken, ihre Spieler lernen es zu passen, wenn sie die Passtechnik richtig gut beherrschen. Daher werden häufig schon mit 8 oder 9 Jährigen, die verschiedensten Passfolgen einstudiert. Passen – Klatschen lassen – Passen – Aufdrehen – nach außen spielen – Flanke – Fallrückzieher – Tor – Jubeln wie Balotelli 🙂 . Etwas überspitzt aber so ungefähr sieht es aus, wenn viele Nachwuchstrainer ihren Spielern das Passspiel und das Erkennen des Mitspielers beibringen wollen. Die meisten wundern sich dann jedoch, warum die Kinder es später im Wettkampf einfach nicht umsetzen können. Man hat es doch schließlich so hart trainiert.  Der Grund dafür ist die fehlende Förderung der Spielintelligenz.

 

Was ist Spielintelligenz ?

Um es einfach zu erklären, bedeutet Spielintelligenz, dass ein Spieler in den verschiedensten Spielsituationen, möglichst häufig die richtigen Entscheidungen trifft.  Je weniger Fehlentscheidungen ein Spieler trifft, desto höher ist seine Spielintelligenz einzustufen.

Ein intelligenter Spieler hat bereits entschieden, was er als nächstes tut, bevor er den Ball erhält. Weniger intelligente Spieler, fangen erst an zu denken, wenn sie den Ball am Fuß haben.

Bevor ein Spieler jedoch die richtige Lösung findet, durchläuft er ganz automatisiert und unterbewusst 4 Phasen. Das Zusammenspiel dieser Phasen, macht am Ende eine intelligenten Kicker aus.

#1 Wahrnehmung 

  • Relevante Informationen für die jeweilige Spielsituation erkennen
  • Vororientierung
  • Wo befinde ich mich gerade auf dem Feld ?
  • Wo sind meine Mitspieler ?
  • Wo ist der Ball ?
  • Wo sind meine Gegenspieler ?

#2 Verstehen und Interpretieren

  • Spielsituation richtig einordnen
  • Erfahrungen und Wissensschatz abrufen

#3 Entscheidungsfindung

  • Was muss ich tun, um das Problem zu lösen ?
  • Chancen und Risiken abwägen
  • geeignete Lösung finden

#4 Technische Ausführung

  • motorische Umsetzung zum Beispiel ein Pass, ein Dribbling, eine schnelle Drehung, ein Torschuss oder vieles mehr …

3 dieser 4 Phasen spielen sich also im Kopf ab und das eigentlich permanent während des gesamten Spiels. Deshalb sagte beispielsweise auch ein Weltklassespieler wie Andrea Pirlo: „Fußball spielt man mit dem Kopf. Deine Füße sind nur dein Werkzeug.“

Genauso ist es auch, denn 80% der Fehler im Profifußball sind Entscheidungsfehler (Spielintelligenz) und keine Technikfehler.

Das heißt, man kann noch so technisch begabt sein und noch so viele Passfolgen trainieren, wenn die Spieler für gewisse Spielsituationen keine Lösungen finden, häufig falsche Entscheidungen treffen oder einfach nur zu lange brauchen, fehlt eine große und extrem wichtige Komponente.

“Nur dank seiner Spielintelligenz ist es einem Spieler möglich, seine technischen und physischen Fähigkeiten in eine effektive Leistung umzusetzen.” – Horst Wein

Wie kann man die Spielintelligenz schulen ?

Ganz einfach durch spielorientiertes Training. Das heißt Spielformen, bei denen die Kinder immer wieder mit verschiedenen Spielsituationen konfrontiert werden und so ständig neue Entscheidungen treffen müssen.

Spielintelligenz kann also nicht mit isolierten Übungsformen, das heißt mit Passfolgen trainiert werden, da dort in keinster Weise das Treffen von Entscheidungen gefördert wird. Es bringt also nichts die reine Passtechnik zu schulen, wenn der Spieler nicht weiß, in welchen Situationen des Spiels er sie anwenden muss.

Ein weiterer wichtiger Punkt zur Förderung der Spielintelligenz ist das Coaching des Trainers. Dieser sollte seine Spieler mit geschickten Fragestellungen zum Denken anregen, anstatt ihnen bereits alle Lösungen vorzugeben. Denn wenn der Trainer bereits alle Lösungen vorgibt, führen die Kinder diese einfach nur noch aus, ohne die Spielsituation richtig verstanden zu haben. Dies führt wiederum dazu, dass ohne die Anweisung/Vorgabe des Trainers, die Spieler oftmals nicht wissen, wie sie bestimmte Situationen lösen können und deshalb häufiger die falschen Entscheidungen treffen.

Nur durch aktives Lernen, ausprobieren und der Erlaubnis Fehler machen zu dürfen, ist es möglich, dass Lernergebnisse im Langzeitgedächtnis des Kindes haften bleiben. Ein großer Speicher von verschiedenen Spielerfahrungen ermöglicht letztendlich das bessere Verstehen der verschiedensten Situationen des Spiels und demnach auch das Treffen von richtigen Entscheidungen.

Zum Autor:

Tobias Bluhm ist der Gründer der Seite Kinderfussball.org mit der er Trainern hilfreiche Informationen und Trainingsformen für den Trainingsalltag liefert. Darüber hinaus ist er Autor für https://portal.spond.com/de/. Selbst steht er als U9 Trainer auf dem Platz und ist mit der B-Lizenz bestens qualifiziert für das Training mit Kindern. Zuletzt wurde Tobias vom DFB ausgezeichnet und ist seither DFB Ehrenamtspreisträger 2019