Entwickeln sich Spieler ohne Trainer besser als mit Trainer?
Diese Frage ist provokativ, fast unverschämt.
Wie sollen sich Spieler ohne Trainer besser entwickeln können als Spieler mit Trainer? Außerdem machen wir doch so gutes Training, dass die Spieler ja automatisch was lernen und besser werden müssen, oder nicht?
Wir sind auf eine Studie aus dem Schulbereich gestoßen, die uns zu dieser Frage geführt hat. Prof. Sugata Mitra (Professor of Educational Technology at the School of Education, Communication and Language Sciences) von der Universität in Newcastle, ist der Frage nachgegangen, wie weit das Lernen – ohne Lehrer- führen kann und ob sich Kinder, allein durch selbstorganisiertes Lernen mit einem Computer und ohne externe Hilfe, Grundlagen des Schulfachs Molekularbiologie aneignen können.
Dazu wurde auf dem Marktplatz im indischen Slum Karnataka ein Computer mit einem Lernprogramm zur Molekularbiologie installiert. Die Kinder bekamen eine kurze Einweisung, in der die Versuchsleitung den Kindern von „interessanten Ergebnissen“ erzählt hat, die man mit Hilfe des Computers erreichen könne. Die Kinder des Dorfes haben sich daraufhin selbstständig mit dem Computer auseinandergesetzt und sich auf die Suche nach den „interessanten Ergebnissen“ in dem Lernprogramm begeben.
Nach 75 Tagen konnte das erste Ergebnis aus dieser Untersuchung aufgezeigt werden. Die Versuchsgruppe, die aus 34 von ca. 100 Kindern in diesem Dorf bestand, hat ein unfassbares Ergebnis abgeliefert. In einem Multiple-Choice-Test hat die Versuchsgruppe das Niveau von gleichaltrigen Schülern einer benachbarten Dorfschule, in der das Fach Molekularbiologie unterrichtet wird, weit übertroffen. Sie haben zudem das Niveau erreicht von mindestens zwei Jahre älteren Kindern einer ländlichen Schule an der das Fach bereits länger unterrichtet wird.
Prof. Mitra ging danach sofort einer weiteren Frage nach: Welche Bedeutung haben erwachsene Personen als „friendly mediators“ im Lernprozess der Kinder? Dazu hat er in weiteren 75 Tagen eine Person hinzugezogen, die keine Lehrperson der Schüler war und auch keine Fachkenntnisse über das Fach besaß. Die Aufgabe des „friendly mediators“ war es wichtige und motivierende Fragen zu stellen, sich dann zurückzunehmen und sich auf Ermutigungen und Lob der Kinder für ihre Ergebnisse zu beschränken:
„Warum atmen wir und was passiert mit der Luft, die wir atmen?“
„Wie habt ihr das denn herausgefunden?“
„Ich wünschte, ich selbst könnte das, was ihr könnt.“
Nach Ende der zweiten Phase konnte Prof. Mitra folgendes Ergebnis präsentieren: Die Schüler der Versuchsgruppe haben ein Leistungsniveau erreicht, dass gleichaltrigen Schülern einer gut ausgestatteten privaten städtischen Schule entspricht und weit über das Niveau hinausgeht von den mindestens zwei Jahre älteren Schülern nach Nachbardorfes an dem das Fach unterrichtet wird.
Was heißt das nun für uns Trainer?
Spieler haben sich früher beim „Bolzen“ frei entwickeln können, ohne dass jemand reingerufen hat und gefordert hat wie gewisse Dinge umgesetzt werden müssen. Die Spieler konnten durch Erfolge und Misserfolge schnell feststellen welche Handlungen funktionieren und welche nicht. Selbstversuche, Scheitern und Siegen haben dadurch facettenreiche Erfahrungswerte geschaffen.
Heute geben wir Trainer den Spielern immer weniger Freiraum für eigenständig entwickelte Handlungsmuster und fordern von uns entwickelte Lösungen. Wir Trainer müssen unseren Spielern künftig wieder mehr Freiräume lassen, um die von vielen geforderte Bolzplatzmentalität und Individualität der künftigen Spielergenerationen zu entwickeln.
Das heißt nicht, dass man beitragslos das Training begleitet. Ganz im Gegenteil:
Wenn Du eine klare Vorstellung von „deinem“ Fußballspiel hast, kannst du deine Spieler durch offene Fragen dazu bringen zu reflektieren, ihre Lösungen zu hinterfragen und neue Ideen zu entwickeln.
„Warum hast du dich für diesen Pass entschieden und nicht für’s Dribbling?“
„Was wäre eine andere Lösung gewesen?“
„Wie hast du das genau gemacht?“
Als Trainer bist Du dann der Mediator mit klarem Ziel deine Spieler in eine gewisse Richtung zu lenken ohne ihnen etwas vorzugeben! Wenn sie auf neue Gedanken kommen, steigert es ihre Neugierde es auszuprobieren. Auch jetzt können sie Selbstversuche starten, ausprobieren was zum Erfolg führt und was zum Misserfolg. Dadurch bringst du die Bolzplatzmentalität ein Stück weit zurück und deine Spieler entfalten sich frei.
Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Entwickeln sich nun Spieler ohne Trainer besser?
Die Antwort auf diese Frage ist höchst individuell und hängt von dir als Trainer ab. Ich wünsche es jedem Spieler, einen Trainer zu haben, der nicht sich und seinen Drang nach stringenter Wissensvermittlung, Anerkennung und Erfolg in den Vordergrund stellt, sondern die langfristige Entwicklung seiner Spieler. Ich bin der Meinung, dass wir Trainer in der Kommunikation mit Spielern deutlich besser geschult werden müssen! Denn durch die richtig gewählte Kommunikation können wir unsere Spielphilosophie vermitteln, ohne sie vorzugeben. Interessante Fragen die zum Nachdenken anregen, Selbstversuche, gemeinsame Reflektion, „eigenständig“ entwickelte Lösungen und Lob. Das sind Dinge, die es braucht um die Neugierde am Fußball zu entfachen. Bekommen sie das nicht von dir als Trainer, ist das „Bolzen“ mit den Freunden vielleicht doch die bessere Alternative.
Daher ist die entscheidende Frage: Würden sich deine Spieler ohne dich besser entwickeln?
Quellen: Mitra, Sugata, und Ritu Dangwal. „Limits to Self-organising Systems of Learning—the Kalikuppam Experiment“. British Journal of Educational Technology 41, Nr. 5 (2010): 672–688. doi:10.1111/j.1467-8535.2010.01077.x
Autor: Tammo Neubauer